Nach dem Studium ging das Studieren erst richtig los – die Vorgeschichte ... für’s Lernen ... Lernen ... Lernen ...

Ein Erfahrungsbericht von Petra Wolf-Perraudin:


Nach dem Studienabschluss 1983 begann die Studentin Petra Wolf neben den Meisterklassen ihre Laufbahn in ersten Engagements und erkannte die Notwendigkeit, intensiv weitere Entwicklungen voranzutreiben.
Auch, wenn es bereits Preise bei Wettbewerben oder auch begeisterte Förderer gab, sie spürte eigene Defizite und die Gefahren eines jungen Opernsängers, am eigenen Leib.

Dann der „Praxis-Schock“ in den ersten Engagements: die Bühne „verschlang“ die Stimme eines jungen Sängers geradezu – eine akustische Kontrolle war Glücksache in der analogen Zeit – ein akustisches Feedback blieb aus.
Für die Langlebigkeit von Stimme und Berufsleben hieß es, jedes Forcieren der Stimme, durch Kraft und Atemschub zu vermeiden. Aus dieser Diskrepanz heraus wurde somit weiteres Studieren bei einem kompetenten Lehrer wurde dringend notwendig.

Stimmpädagogisch interessiert wollte Frau Wolf praktisches Wissen erweitern und mehr über Atem, Körpereinsatz und Stütze erfahren. Ihr Interesse der methodischen Gegenüberstellung von Tonbildung und Körpereinsatz war seit dem Studium gewachsen. Sie hospitierte bei vielen unterschiedlichen Lehrern und Sängern, denn die sehr verschiedenen Klangergebnisse des methodischen Inputs und die Feinheiten der Umsetzung waren ihrem gut ausgebildeten Gehör nicht entgangen. Unterrichtsmaßnahme und das Verhältnis zum klanglichen Umsetzungsergebnis des Lernenden interessierte sie immer mehr.

Mit den neuen Erkenntnissen wuchsen auch Anspruch und Erwartungshaltung, was jedes aufregende Klangerlebnis einiger wunderbarer Opernabende Live, inbesondere von namhaften, italienischen Sängern zu einem erkennenden Hörgenuss verhalf - In Wahrnehmung technischer Unterschiede und ihrer tonlichen Ergebnisse.
Wo lagen die Unterschiede der Techniken, wo die sängerische Orientierung? Eine Analyse in Gegenüberstellung wurde jetzt möglich.

Ein guter Gesangslehrer ist schwer zu finden. Eine Tatsache ist, dass der Lehrer für Stimm- und Interpretationsarbeit zum Musiker eine fachlich begründet emotionale Beziehung aufbaut. Dadurch wird klar, dass der Lehrer zu dem Studenten auch menschlich passen muss – so in seiner Umgangsweise, seiner Stimme, seinen Ansichten, im „Ton“ sowie grundlegend in seiner künstlerischen sowie methodisch-didaktischen Kompetenz.

Seit ihrem Doppelstudium in Hamburg war Frau Wolf die physiologisch-funktionale Basiskompetenz bezüglich der Stimmarbeit und Stimmeinschätzung besonders wichtig. Wie sie bereits bei der Hochschul-Gesangsdozentin Ks. Prof. Gisela Litz in Ansätzen vermittelt, sollte eine vertiefende Intensivierung neue Perspektiven öffnen.

Unter dem Vorzeichen der Lehrersuche lag nach Studienabschluss ein erneuter Besuch bei der Sommerakademie Salzburg nahe.
Wie zuvor im Musikstudium standen unzählige Hospitationsstunden im Unterricht auf dem Programm - im spannenden Unterrichtsvergleich. Auf diesem Wege konnte das Gehör, die Fein-Wahrnehmung von Details, Urteilskraft und Einschätzungsvermögen gegenüber dem Einsatz didaktischer Mittel und ihrer Zielsetzungen im Gesangsunterricht reifen. Wichtige Erfahrungswerte ergaben sich u.a. von folgenden, international bekannten Sängern und Dozenten: Giulietta Simionato, Elisabeth Schwarzkopf, Walter Berry, Rita Streich, dem Lehrerpaar Elisabeth Grümmer u. Hugo Dietz sowie Christa Ludwig.

Nach einer kurzen, privaten Studienphase bei der Sängerinnen-Legende, der Mezzo-sopranistin Ks. Christa Ludwig, zur Interpretation von Oratorium und Lied folgte die Einladung bei der Richard-Wagner-Gesellschaft in Bayreuth mit dem Besuch des „Parsifal“, „Tannhäuser“ und „Fliegenden Holländer“ als Stipendium an – eine gute Gelegenheit, sich genauer über die Lehrerkapazität Prof. Dietger Jacobs bei einer seiner bekanntesten, ehemaligen Studentinnen direkt zu informieren. Die legendäre Kundry, Waltraut Meyer, antwortete in einem Gespräch äußerst zugänglich: Sie kenne keinen besseren Gesangslehrer als Dietger Jacob. Und in der Tat - seine im Engagement stehenden, ehemaligen Studenten waren mehr als qualitativ überdurchschnittlich, stimmlich von überzeugender Substanz und darstellerischer Ausstrahlung.

Prof. Dietger Jacob (†)
– Gesangslehrer aus Leidenschaft

EIN DANKESCHÖN FÜR PROF. DIETGER JACOB


An der Hamburger Staatsoper war er als Gesangsdozent für Prof. Rolf Liebermann im Einsatz, dann als langjähriger Professor für Gesang an der Musikhochschule Köln – sehr erfahren, hoch-kompetent und hoch-qualifiziert, dazu verantwortungsvoller Anhänger funktionaler Gesangs-Methodik.

Seine erfolgreichsten Studenten wurden legendäre, internationale Vertreter des Wagnerfachs – darunter internationale Sängerkarrieren wie u.a. Hans Sotin und Waltraut Meyer.

Prof. Jacob war ein hochsympathischer, offener und gern zu Scherzen aufgelegter Mensch - eine authentisch gradlinige, liebenswerte und äußerst zugewandte Persönlichkeit mit einer eher unauffällig selbstverständlichen Autorität auf Augenhöhe.

Er bot fachlich genau jene Schwerpunkte, die für Petra Wolf Intensivierung brauchten. Es war ein Intensiv-Training in kompakter Form, was durch Umlernen erarbeitet werden musste, ein Einstieg quasi von vorn.
Wenn auch nur für eine Gesangsstunde – der Weg von Hamburg nach Köln oder Langenfeld war lohnend, da in der Aufbauphase besonders wichtig. Groß war das Interesse an seiner Stimmdidaktik, so groß, dass selbst das Redigieren und die Assistenz zur Fertigstellung seines gesangs-didaktischen Lehrbuchmanuskripts über eine längere Zeitstrecke - damals noch in jeder freien Minute tippend per Schreibmaschine - Freude machte.

Die Zeit der Zusammenarbeit bewirkte viel, veränderte die Wahrnehmung. Stimmliche Kräfte erwuchsen durch mehr Körpereinsatz. Mehr Stimmbewusstsein erweiterte den sängerischen Schaffensspielraum. Der stimmliche Substanzzuwachs brachte neue Ergebnisse in kürzester Zeit:
1986 folgte der Sängerförderungspreis der Stadt Salzburg, Resultat eines Wettbewerbs. Der Auftragsradius von Konzertangeboten erweiterte sich nach Italien, Österreich und in die USA.

Auch ein Engagement vom „Kaliber“ der „Ochsentour“, wie sie die Callas in ihren Memoiren (von John Ardoin) einst beschrieb, wurden von der jungen Sängerin mehrjährig durchlaufen:
Ein Engagement mit Idealbedingungen? ... Wirklich nicht.
Angebote wichtiger Konzerte oder Gastspiele, die wie zuvor von außerhalb kamen, eigentlich für das Fortkommen eines jeden Sängers wichtig sind und in anderen Theatern eher als „Ehre“ denn als Last eingestuft wurden ... nein, in diesem Engagement nicht. Die Teilnahme wurde einfach versagt bzw. nicht genehmigt!
Nach Vertragsantritt ergab sich eine sängerische Leistungsverpflichtung - entgegen mündlicher Zusagen von Theater und Agentur bei Vertragsverhandlung - als ortsgebundene, „verschlossene“ Leistungsverpflichtung mit mehr als 80 Vorstellungen pro Saison vornehmlich in großen Partien und teilweise auch hochwertigen Inszenierungen. Was das für einen jungen Sänger hieß ...: statt Sprungbrett-Engagement gab’s Karriere-Stopp. Außerordentliche Überbelastung der Stimme wurde hier zur Forderung, was eine hohe Gefährdung der Stimm-Substanz, trotz aller herrlichen Partien, bedeutete.
Wie auch bei der Callas wurde der Einsatz einer minutiös aufgebauten, konsequenten Gesangstechnik und der aufrichtende Zuspruch einer menschlichen Gesangslehrer-Kapazität zur energiespendenden, manchmal auch tröstenden Notwendigkeit: Ein wertvoller „Rettungsanker“ der Überlebens- und Verschleißfrage in einer stimmlich-gefährdenden, zermürbenden und Kräfte raubenden Zeit – in der das stimmliche und seelische Überleben auch noch für Folge-Jahre gesichert sein sollte.

Prof. Jacob gilt Dank - für die Erweiterung stimmlicher Entwicklung, Stärkung und sein „offenes Ohr“ für beruflich schwere Zeiten – er war eine menschliche Bereicherung.
Gern denke ich an letzte, gemeinsame Lektionen an der Hamburger Elbchaussee mit den herzlichen Begegnungen seiner Frau, der zugewandten, verständnisvollen Kollegin und geschätzten Mezzosopranistin Hildegard Hartwig.
Leider ist Prof. Jacob nicht mehr unter uns und ist seiner Frau gefolgt.